Ich schreibe diesen Text für all die Menschen, die das Gefühl haben, etwas stimmt nicht ganz. Die spüren, dass sie sich selbst irgendwie verloren haben. Ohne zu wissen, wo. Oder wann genau das passiert ist. Und die nicht wissen, wonach sie suchen – aber spüren, dass es Zeit ist, überhaupt mal wieder etwas zu suchen.
So ging es mir. Ich war Ende 20, fest angestellt in einer Agentur, beruflich erfolgreich, aber innerlich wie ausgehöhlt. Ich funktionierte – gut sogar. Ich war kreativ, belastbar, sozial, organisiert. Aber innerlich war ich leer. Ich wusste nicht mehr, was mir Freude machte. Ich hatte keinen Zugang zu meinen Emotionen, keine Verbindung zu mir selbst. Und ich hätte es damals nicht so benennen können, aber genau das war das eigentliche Problem.
Dann kam Vipassana in mein Leben und über diese Erfahrung möchte ich in diesem Blogpost berichten.
Dies soll kein Standardartikel über Vipassana werden. Kein Erfahrungsbericht mit Uhrzeiten, Essensplänen und Packlisten. Keine Anleitung zum Durchhalten. Kein „Und dann kam die Erleuchtung“-Moment.
Durch eine Freundin und über ein paar Podcastfolgen bin ich auf Vipassana gestoßen. Ich hatte das Wort schon einmal bei Laura Malina Seiler im Podcast gehört – (ja den habe ich eine Zeit lang viel gehört. Er hat mir tatsächlich eine Zeit lang gut getan. Aber hört man den eigentlich noch?) Mir fehlte in ihrer Arbeit aber recht schnell der Tiefgang, die nachhaltige Veränderung. Nicht nur das Offensichtliche, sondern das Echte.
Deshalb war Vipassana für mich eine Einladung, tiefer zu gehen. Ich hatte Hoffnung auf Veränderung, auf etwas Echtes.
Vipassana ist eine traditionelle buddhistische Meditationstechnik, bei der du über zehn Tage schweigend übst, deinen Körper und Geist achtsam zu beobachten – ohne Ablenkung, ohne äußere Reize, ohne Kontakt zur Außenwelt. Es geht darum, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind – durch direkte innere Erfahrung.
Und ja – es sollte bitte nicht viel kosten. Das spielte ehrlich gesagt auch eine Rolle. Ich konnte mir nicht noch mehr Urlaubstage leisten, um einen Urlaub in einem exotischen Land dranzuhängen. Und ich wollte nicht weit weg von meiner Familie sein, falls es mir in der Zeit nicht gut geht.
Manchmal brauchen wir natürlich auch die Deadline im Nacken, um überhaupt in Bewegung zu kommen. Aber zwischen produktivem Druck und lähmender Enge liegt ein Unterschied. Heute versuche ich, mir bewusst Zwischenräume zu schaffen – damit der kreative Teil nicht untergeht.
Im Januar 2019 fuhr ich also nach Meppen, an die niederländische Grenze. Zehn Tage Vipassana nach S.N. Goenka. Das Zentrum war nicht besonders schön. Es erinnerte mich an Klassenfahrten. Schullandheim-Flair. Trister Garten. Kalter Wind. Es war Januar, und ich war bereit. Bereit, zu sitzen, zu schweigen, zu fühlen – oder auch nichts zu fühlen.
Die ersten Tage sah ich nur Füße. Hausschuhe. Bewegungen im Augenwinkel. Eine Teilnehmerin trug exakt die gleichen Hausschuhe, die ich früher bei meinen Großeltern getragen hatte. Ich nahm mir vor, sie nach dem Retreat zu fragen, woher sie diese Hausschuhe hatte.
Eine andere saß auf einem ergonomischen Stuhl (habe mich auch sehr gewundert, dass man Stühle mitbringen darf), welcher exakt der alte Stuhl meiner Mutter war, auf dem sie immer am Schreibtisch saß.
All diese kleinen Dinge lösten etwas in mir aus. Sie brachten mich zurück in eine Version von mir, die ich fast vergessen hatte: die kleine, neugierige Lina, die beobachtet, statt bewertet. Die staunt, statt optimiert.
Ich ging ohne große Erwartungen hinein. Ich sah das Ganze als Experiment. Und ich war entschlossen, es durchzuziehen. Hier habe ich wieder ganz stark meinen Willen gespürt. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann mache ich es auch ( ja ich bin Widder, für alle die ein klein bisschen an Sternzeichen glauben, wie ich)
Und dann kam der Schmerz. Mein Rücken brannte. Nicht so ein „Ich sitze zu lang“-Schmerz. Es fühlte sich an, als hätte mich ein Tier über den Rücken gekratzt. Ich war überzeugt: Da ist was! Mein Rücken ist feuerrot. Ich bin mehrmals ins Bad gegangen, hob mein T-Shirt vor dem Spiegel – und sah: nichts. Kein Kratzer. Kein Ausschlag. Nur Haut. Nur ich. Nur Widerstand, der sich körperlich manifestierte.
Es war absolut nicht leicht. Aber es war ehrlich. Und zwischen all dem: Stille Momente, die in mir etwas bewegt haben.
An einem Morgen um 6 Uhr, nachdem ich bereits zwei Stunden meditiert hatte, wollte ich mir im Garten die Beine vertreten. Wie alle anderen drehte ich meine Runden, immer im Kreis – es fühlte sich manchmal an wie „Ausgang“ im Gefängnis. Immer dieselbe Richtung, immer derselbe Weg. Und dann blieb ich stehen. Ich atmete die kalte, klare Januar Luft tief ein. Und in diesem Moment sah ich, wie ein Maulwurf die Erde nach oben katapultierte. Ich sah nicht das Tier selbst – aber ich sah, wie sich der Boden hob, wie sich ein kleiner Hügel bildete, frisch und braun. Ich war so ergriffen von diesem Anblick. Es war ein stilles Naturwunder, das ich sonst niemals bemerkt hätte. Kein Handy, kein Podcast, kein Buch hätte mir diese Begegnung geschenkt. Es war eine Erinnerung daran, wie viel Freude in den kleinen Dingen liegt. Wie viel Leben im Alltäglichen. Und wie still man manchmal werden muss, um das zu sehen.
Was mir ebenfalls noch sehr präsent in Erinnerung ist, wie ich einmal mittags auf meinem Bett lag. Ich hatte mir meinen grauen Schal über die Beine gelegt, lag ganz still, bewegte meine geschlossenen Füße leicht hin und her – und bemerkte: Ich sehe aus wie eine kleine Robbe. Ich musste so sehr über mich selbst lachen. Es war der Moment, in dem ich gemerkt habe: Ich bin noch da. Meine kindliche Freude ist noch da. Mein Humor ist noch da. Ich bin nicht kaputt.
Auch im Miteinander passierte viel – ganz ohne Worte. Wir waren zu dritt im Zimmer. Und wir verständigten uns ohne Gesten, ohne Blicke, ohne Zeichen. Wer putzt wann Zähne? Wer geht wann auf die Toilette? Es war eine stille Choreografie der Rücksichtnahme. Ich habe selten so viel Achtsamkeit im Umgang miteinander gespürt. Ohne Worte. Ohne Vereinbarung. Nur durch Präsenz.
Die wichtigste Erkenntnis aus diesen zehn Tagen? Alles ist im Fluss. Nichts bleibt, wie es ist. Das mag nach Kalenderspruch klingen, aber wenn du es fühlst, wenn du es in jeder Zelle deines Körpers erfährst – dann verändert es etwas.
Vipassana hat meine Sicht auf Achtsamkeit verändert. Ich dachte früher, Achtsamkeit ist ein schöner Spaziergang, eine Meditation, eine Auszeit. Und ja – das kann es auch sein. Aber Vipassana hat mir gezeigt: Achtsamkeit ist das Bleiben, wenn es unangenehm wird. Wenn alles in dir fliehen will. Wenn dein Geist schreit: „Ich will das nicht fühlen.“ Und du trotzdem bleibst. Ohne Drama. Ohne Urteil. Nur mit dir.
Vipassana bringt dich nicht an ein Ziel. Aber es bringt dich zu dir.
Und was bringt es wirklich?
Nun – es bringt das, was du daraus machst. Es bringt nicht immer Erkenntnis. Es bringt nicht immer Heilung. Es bringt nicht immer Erleuchtung. Aber es bringt dich in Kontakt mit dem, was du sonst wegdrückst. Und das allein ist schon viel.
Vielleicht bringt es dich an den Anfang von etwas, das du längst verloren glaubtest.
Vielleicht bringt es dich zu deiner Robbe.
Vielleicht bringt es dich einfach nur ein Stück näher zu dir.
Und das – finde ich – ist ziemlich viel.
Bevor du gehst: Wenn du dir wünschst, wieder mehr bei dir selbst anzukommen – nicht erst im nächsten Retreat, sondern im Alltag – dann habe ich etwas für dich.
Ich habe eine kurze, achtsame Meditation aufgenommen, die dir hilft, im Trubel innezuhalten, dich selbst zu spüren und für einen Moment ganz da zu sein.
Zusätzlich erhältst du meine monatlichen MINDFUL INSIGHTS – ehrliche Impulse, liebevolle Gedanken und Inspiration für ein achtsames Leben.
Liebst, Lina
Lina ist systemische Coachin für achtsame Selbstführung und arbeitet als Senior Creative Consultant in einer Kreativagentur. Mit PLUSMIND begleitet sie kreative Selbstständige und Angestellte dabei, mehr innere Klarheit, emotionale Stabilität und echte Selbstverbindung zu finden – jenseits von Perfektionismus, Stress und ständiger Selbstoptimierung.
Sie kombiniert ihre Erfahrung aus über 10 Jahren Agenturleben mit fundierten Methoden aus Achtsamkeit, Coaching und Meditation – ehrlich, warm, alltagstauglich und echt.